Marian von Mitschke-Collande von Giesecke+Devrient im Interview über die Zukunft des Büros nach der Pandemie und dem Ukraine-Krieg.

 

München, 20. April 2022. Die Corona-Pandemie geht ins dritte Jahr. Zwar werden Beschränkungen in Deutschland zunehmend gelockert. Die Infektionszahlen aber sprengen vielerorts weiterhin Rekorde. Homeoffice und Remote Work sind damit noch immer Teil des Arbeitslebens. Und obwohl sich die Gewerbeimmobilienmärkte 2021 vom Einbruch des Vorjahres erholt haben, erreichen Neuvermietungen vor allem in Großstädten bei Weitem nicht das Vor-Corona-Niveau. Hinzu kommt der Ukraine-Krieg, dessen wirtschaftliche Folgen auch für deutsche Unternehmen in ihrer gesamten Dimension noch nicht abzuschätzen sind. Wie es ist, in einer solchen Situation ein Neubauvorhaben mit 43.000 Quadratmeter Mietfläche umzusetzen, erläutert Marian von Mitschke-Collande. Er realisiert auf dem früheren Grundstücksteil der Firmenzentrale des Sicherheitskonzerns Giesecke+Devrient (G+D) den neuen Technologie-Campus „DER bogen“ in München. Im Interview spricht er über positives Denken in Krisen und warum das physische Büro eine nachhaltige Zukunft hat.   

 

Herr von Mitschke-Collande, Sie sind Gesellschafter der sechsten Generation beim weltweit aktiven Technologiekonzern Giesecke+Devrient (G+D) und seit 2009 in unterschiedlichen Managementfunktionen im In- und Ausland tätig. Aktuell leiten Sie die G+D Immobilien Management und entwickeln direkt auf dem Stammsitzgelände den Business-Campus „DER bogen“. Wie kam es zum Wechsel vom Manager für Sicherheitstechnologien zum Immobilienprojektentwickler?

 

Marian von Mitschke-Collande: Die Tätigkeit für G+D habe ich natürlich nicht vollkommen eingestellt. Durch die Gremienarbeit mit meinen Geschwistern bin ich weiterhin sehr eng in alle Themen und die strategische Entwicklung des Unternehmens involviert und lasse hier viel Herzblut einfließen. Das ist mir auch extrem wichtig. An der Möglichkeit, den Bau von „DER bogen“ zu managen, hat mich vor allem die Chance gereizt, an diesem Standort etwas für die Zukunft gestalten zu können, das nachhaltig funktioniert und meine Handschrift trägt. Zudem betrachte ich es auch als Pflicht, diese Aufgabe zu übernehmen. Denn unser Unternehmen ist seit 1948 an diesem Standort an der Prinzregentenstraße. Meine Familie und ich fühlen uns diesem stark verbunden und, wir wollen eine gewisse Verantwortung dafür tragen, dass es hier auch für die nächsten Generationen weitergeht. Und dazu gehört aktives Gestalten einfach dazu. Zudem bin ich bei der G+D Immobilienmanagement nicht nur für den „bogen“ zuständig, sondern auch für unsere eigene Immobilie.

 

 

Das Konzept zu „DER bogen“ haben Sie 2018 entwickelt. Zwei Jahre später kam: Corona. Die Pandemie führte teilweise zu erblichen Einschlägen im Büromarkt. Nicht nur in München. Denn überall auf der Welt haben die Menschen plötzlich im Homeoffice gearbeitet. Laut einer Analyse des Immobilienberaters Savills lag die gesamteuropäische Vermietungsleistung 2020 um 32 Prozent unter dem Fünf-Jahres-Schnitt. Für den Münchner Büroflächenmarkt ermittelte der Immobiliendienstleister NAI Apollo damals den niedrigsten Flächenumsatz seit elf Jahren. Wie konnten Sie in einer Zeit wie dieser positiv in die Zukunft Ihres Projektes blicken? 

 

Die Bürowelten haben sich schon vor der Pandemie verändert. Denn der Arbeitgebermarkt in Metropolen war und ist extrem stark. Deshalb müssen sich die Unternehmen schon seit Jahren überlegen, wie sie Talente gewinnen und binden können. Das passiert natürlich auch sehr stark über ihre Bürowelten. Vor dem Hintergrund des „War for Talents“ ist 2018 in unserem Team die Idee entstanden, keinen klassischen Nine-to-Five-Standort zu entwickeln. Vielmehr wollten wir einen Ort schaffen, an dem der Mensch im Mittelpunkt steht und deshalb gerne dort arbeitet. Also haben wir uns dafür entschieden, eine Bürowelt zu schaffen, die neben schicken Arbeitsplätzen auch verschiedene Serviceangebote, Einkaufsmöglichkeiten, eine hochwertige Gastronomie und ein Fitnessstudio bietet und all das in eine offene Architektur einzubetten, die auch den Austausch mit den Nachbarn ermöglicht.

Dann kam die Pandemie. Sie hat den längst eingesetzten Veränderungsprozess noch einmal beschleunigt. Denn durch Corona mussten sich Arbeitgeber nicht mehr nur überlegen, wie sie die besten Mitarbeiter für sich gewinnen, sondern zusätzlich, wie sie Mitarbeiter überhaupt dazu bewegen können, wieder ins Büro zu kommen. Unsere Schlussfolgerung war: Wenn der Mensch im Mittelpunkt der Immobilie steht und tagsüber Wege erledigen kann, die er andernorts nur nach der Arbeit schafft, dann arbeitet er gerne wieder im Büro.  

 

Im Spätsommer 2021 starteten die Baumaßnahmen für Ihren neuen Technologie-Campus. Bis Ende 2021 hatte sich der Bürovermietungsmarkt laut CBRE in München erholt. Auch die Leerstandsquote hatte sich stabilisiert. Mittlerweile werden die Corona-Beschränkungen vielerorts gelockert. Allerdings: Homeoffice und Remote Work sind weiterhin im Trend. Spüren Sie das bei der Nachfrage?

 

Wir merken das, was die Analysten der großen Maklerhäuser auch sagen: Die Anfrage zieht wieder an. Moderne, flexible Büros, die kombiniert sind mit Serviceangeboten, erleben einen erneuten Frühling. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir in München sehr branchendivers sind. Dadurch fällt die Wirtschaftsleistung in Krisenzeiten nicht komplett zusammen. Es gibt natürlich Firmen, die sind in solchen Situationen weniger stark, andere wiederum gehen gestärkt aus Krisen hervor. Und hier hat München sehr viele Unternehmen zu bieten, die trotz oder gerade auch durch die Corona-Krise gewachsen sind und genau jetzt nach neuen Flächen suchen. Viele freie Flächen aber sind in die Jahre gekommen und für moderne Unternehmen unwirtschaftlich – gerade, wenn sie aus der Technologie-Branche kommen. Denn diese Firmen brauchen Büros, die Flexibilität und Servicecharakter bieten. Das klassische 1-Zimmer-Hühnerstallbüro ist nicht mehr das, was angefragt wird. Das bestätigen mir auch immer wieder Gespräche mit Marktteilnehmern. Insofern sehen wir für unser Projekt eine große Chance, weil wir eben verschiedene Ausbaumöglichkeiten und ein breites Serviceangebot bieten.  

„DER bogen“ bietet auch viel Mietfläche. Rund 43.000 Quadratmeter sind es insgesamt, 6.000 Quadratmeter können zusammenhängend pro Regelgeschoss angemietet werden – bei Bedarf auch mehrere Etagen. Braucht es so viel Fläche künftig überhaupt noch?

Die Kombination aus dem, welche Anforderungen Firmen heute an Büros haben und der starken Wirtschaftskraft Münchens bewirkt, dass Flächen weiterhin gesucht werden. Wie groß diese sind, hat weniger damit zu tun, dass die Mitarbeiter mehr als früher von Zuhause aus arbeiten werden, sondern vielmehr mit der Unternehmensgröße. Ein amerikanischer Tech-Konzern mit mehreren Tausend Mitarbeitern wird auch künftig viel Fläche benötigen. Vielleicht wird er heute keine 15.000 Quadratmeter mehr anmieten, wie er das vor der Pandemie getan hätte, sondern nur noch 12.000 Quadratmeter. Aber dennoch braucht er große zusammenhängende Flächen. Das sehen wir auch an unserem eigenen Standort, der Zentrale von G+D, mit über 70.000 Quadratmetern.  

Der Grund dafür ist, dass die modernen Arbeitswelten mehr Fläche in Anspruch nehmen, als ein 1-Zimmer-Büro-Komplex oder das Großraumbüro, in dem so viele Menschen wie gesetzlich möglich untergebracht werden sollen. Denn es müssen neben den Büros auch Flächen zur Kollaboration und zum Rückzug geschaffen werden und natürlich Meeting-Räume. Das heißt netto benötigen Unternehmen fast die gleiche Fläche, obwohl die Mitarbeiter vielleicht nur noch 50 Prozent ihrer Arbeitszeit anwesend sind.

 

In Pandemiezeiten haben einige Projektentwickler ihre ursprünglichen Konzepte umfassend überarbeitet. Handvenenscanner, spezielle Luftfiltersysteme und allerlei weitere Technologien sollen in den schicken neuen Bürowelten für gesundes Wohlfühlarbeiten sorgen. Haben Sie Ihr Konzept für „DER bogen“ während der Pandemie ebenfalls entsprechend angepasst?

Wir haben selbstverständlich im Team darüber gesprochen, uns aber gegen aufwendige Veränderungen entschieden. Denn wir bauen für die Zukunft. Die Welt wird sich immer verändern. Bei der Fertigstellung 2024 werden wir also vielleicht mit ganz neuen Themen konfrontiert sein. Unser oberstes Credo war es daher immer, eine Immobilie zu schaffen, die in ihrer Struktur so flexibel wie möglich ist. Deshalb haben wir auf gewisse architektonische Bundtiefen gesetzt, durch die auch später verschiedene Raumstrukturen geschaffen werden können. Wir setzten auf Leerverrohrungen und Lüftungsschächte, durch die wir nachträglich immer darauf reagieren können, was später gegebenenfalls gefragt wird.

Aber meine These zur aktuellen Situation ist, dass der Mensch nach der Pandemie nicht vollständig anders sein wird als der Mensch vor der Pandemie. Wir haben deshalb keine Notwendigkeit gesehen,  alle unsere gut überlegten Planungen über den Haufen zu werfen, wohlweislich, dass wir ohnehin schon hochmoderne Lüftungsaggregate verbauen oder dass wir kontaktlose Aufzugsteuerungspanele haben.

 

Die auffällige Fassade des Business-Campus ist von HENN Architekten konzipiert. Der ebenfalls international bekannte Architekt und Designer Matteo Thun zeichnet unter anderem für die Gestaltung der vier Foyers, der Bar und Kantine sowie für die Duschen und Umkleiden des Fahrradparkplatzes verantwortlich. Neben der hohen Qualität in Architektur und Ausstattung der Gebäude werden den künftigen Mitarbeitern auch Einkaufsmöglichkeiten und ein Fitnessstudio geboten. Reicht das aus, um Mitarbeiter künftig wieder vom Sofa an den Schreibtisch zu bewegen?

 

Ich bin überzeugt davon, dass sich eine vollständige Homeoffice-Kultur nicht durchsetzen wird. Vielmehr werden sich hybride Modelle entwickeln. Denn ich glaube nicht daran, dass Mitarbeiter immer nur Zuhause sitzen wollen. Gerade extrovertierte Menschen werden gerne wieder ins Büro gehen. Aber sie leben natürlich auch den Trend der 15-Minuten-Stadt. Sie wollen also zunehmend viele Dinge des Alltags mit der Arbeit im Büro verknüpfen. Dieses Angebot sollten Arbeitgeber machen können. Wir haben unser Projekt genau so konzipiert, dass Mitarbeiter in unmittelbarer Umgebung zum Arbeitsplatz alles finden, was sie zum Leben brauchen – und im Wohnzimmer nicht finden: ein Wohlfühlambiente, das gepaart ist mit hochmodern ausgestatteten und klimatisierten Büros, ergonomischen Arbeitsplätzen und gesunden Lichtkonzepten. Der Mitarbeiter fährt morgens also in die Tiefgarage oder stellt sein Fahrrad ab, kann sich auf dem Weg ins Büro einen Kaffee holen und seine Hemden und Schuhe beim Concierge abgeben, der sich um die Reinigung und Reparatur kümmert. Mittags kann er eine Runde Sport im Fitnessstudio machen und in einer hochwertigen Gastronomie gesund essen. Und am Abend kann er mit den Kollegen auf einen After-Work-Drink gehen oder sich im Supermarkt noch ein Päckchen Nudeln mitnehmen. All das findet er im Wohnzimmer nicht vor.

 

Stichwort 15-Minuten-Stadt: „DER bogen“ entsteht im Stadtteil Bogenhausen. Glauben Sie, dass Mitarbeiter, die über zwei Jahre gewohnt sind, in den eigenen vier Wänden zu arbeiten, gerne wieder durch die Rushhour ins Büro fahren?

 

Selbst wenn „DER bogen“ am Marienplatz entstehen würde, würden die Mitarbeiter pendeln müssen. Denn die wenigsten leben zentral. Und dass Menschen direkt neben dem Büro wohnen, ist auch eher untypisch. Dafür, dass unser Projekt nicht im Stadtzentrum gebaut wird und München als Wirtschaftsstandort eine Weltstadt ist, sind wir sehr gut angebunden. Wir sind nah an der Autobahn und dem Leuchtenbergring. Auch zur U-Bahn ist es nicht weit, denn Tram und Bus sind um die Ecke. Betrachtet man andere Wirtschaftsmetropolen wie Frankfurt am Main, London oder die San Francisco Bay Area ist München, was die Entfernungen betrifft, ein Dorf. Insofern dürften 15 bis 30 Minuten Fahrzeit niemanden davon abhalten, wieder gerne ins Büro zu kommen.

 

Aktuell ist die Welt vom Krieg in der Ukraine, dem radikalen Verhalten Russlands und dem weltweiten Ruf nach Aufrüstung geschockt. Inwiefern tangiert die aktuelle Situation die Anforderungen an erweiterte Sicherheitssysteme – sowohl bei G+D selbst als auch in Ihrem neuen Technologie-Campus?

 

Ich als Mensch bin ebenso geschockt von den Geschehnissen in der Ukraine wie meine Geschwister. Aber unser Unternehmen ist bereits ein zertifizierter Hochsicherheitsstandort. Und im „bogen“ werden selbstverständlich ebenfalls höchste Sicherheitsstandards realisiert. Ganz grundsätzlich: Die Menschen leben seit über zwei Jahren in einer pandemischen Ausnahmesituation. Kaum scheint dieses Weltereignis vorbei zu sein, stehen sie vor der nächsten Krise. Inwieweit das die DNA von Unternehmern und Mitarbeitern in puncto Sicherheitsbedürfnis beeinflussen wird, können wir noch nicht final absehen. Sollten die Anforderungen bis zur Fertigstellung 2024 andere sein als heute, werden wir darauf reagieren können – beispielsweise über schärfere Zugangskontrollen in den Foyers.

Werden der Krieg und die Unberechenbarkeit Russlands als Wirtschaftspartner Auswirkungen auf den Münchner Markt – und damit auf die Neuvermietung von Flächen haben?

 

Der Vermietungsmarkt hat eine direkte Korrelation zum weltwirtschaftliche Geschehen. Boomt die Wirtschaft, geht die Vermietung nach oben, kommen wir in eine Rezession, ist das Anmietverhalten gedämpft. Wir werden nun abwarten müssen, welche Auswirkungen die momentane Krise auf die wirtschaftliche Entwicklung hat. Natürlich wird es welche geben. Aber wie groß der volkswirtschaftliche Effekt ist, ist noch nicht absehbar. Auch nicht für den Standort München, der in der Vergangenheit eine gewisse Resilienz gegen Krisen entwickelt hat. Die hiesige Wirtschaft ist so divers aufgestellt, dass hochmoderne Immobilien auch künftig angefragt werden dürften. Denn aus Krisen entstehen auch wieder neue Chancen, auf deren Basis sich die Wirtschaft erholen kann. So wie die Pandemie ein Katalysator für die Entwicklung der Digitalisierung war, wird der Krieg in der Ukraine und der damit verbundene politische und wirtschaftliche Wille, die Abhängigkeit von fossilen russischen Brennstoffen abzubauen, die Energiewende antreiben. Daraus erwächst eine neue Kreativität und neue Firmen entstehen, die wiederum Büroflächen suchen. Mit seinen Hochschulen, seinen Dax-Unternehmen und seiner Start-up-Kultur ist München ein sensationeller Standort für solche Entwicklungen.

 

Eine Frage zum Schluss: Hand aufs Herz – hat das physische Büro vor dem Hintergrund der seit zwei Jahren anhaltenden Unsicherheiten, den sozialen Veränderungen der Gesellschaft, dem Fortschritt der Digitalisierung und dem Vormarsch künstlicher Intelligenz wirklich eine dauerhafte Zukunft?

 

Ja. Wenn Büros flexibel sind und die Konzepte und Strukturen stimmen. Denn der Mensch bleibt ein soziales Wesen. Egal, welche technologische Entwicklung, welche Naturkatastrophe oder welche geopolitische Krise kommt: Menschen wollen sich austauschen. Büroimmobilien, die Zukunft haben wollen, müssen aber schnell an veränderte Bedürfnisse angepasst werden können und den Menschen als soziales Wesen in den Mittelpunkt stellen. Daran glaube ich nachhaltig.